Häufige Frage: Ab wann Sport nach der Geburt?
Viele Patientinnen kommen nach Schwangerschaft und Geburt in meine Praxis mit dem Ziel ihre Beckenboden- und Rumpfmuskulatur testen zu lassen, um einen sicheren Wiedereinstieg in ihr Training zu gewährleisten.
Die Frage, die ich sehr häufig höre lautet: “Wann kann ich wieder Sport betreiben?” Die Antwort fällt sehr unterschiedlich aus, da Frauen in sehr unterschiedlichem Masse von den Folgen der Schwangerschaft und Geburt betroffen sind. So macht es beispielsweise einen großen Unterschied, ob eine vaginale Entbindung erfolgte oder ein Kaiserschnitt gemacht wurde. Dies ist den Frauen meist klar. Weniger klar ist, dass es eine Unterschied macht, ob es Geburtsverletzungen gab und welcher Art diese waren. Die Festigkeit des Bindegewebes kann durch Schwangerschafts- und Stillhormone erheblich reduziert sein. Auch das wirkt sich auf die Möglichkeiten des Trainings aus. Und wie ist es um die Kraft von Rumpf- und Beckenbodenmuskulatur bestellt? Auch dies sind zentrale Fragen. Hinzu kommt eine weitere: Welchen Sport möchten Sie wieder ausüben? Handelt es sich um gymnastische Übungen oder ist ein regelmäßiges Lauftraining das Ziel?
Eigene Symptome beachten und keine Vergleiche anstellen!
Um die Gefahren und Risiken eines zu frühen Wiedereinstiges abschätzen zu können, sollte man einige Dinge wissen. Nach der Geburt ist der Beckenboden oft und die Rumpfwand immer geschwächt. Es ist wichtig, dies zu berücksichtigen, bevor man Sport nach der Geburt in Erwägung zieht. Frauen sollten eine ehrliche Bestandsaufnahme machen und sich fragen, ob sie von typischen Symptomen betroffen sind, die auf eine Rumpf- beziehungsweise Beckenbodenschwäche oder auch abgesenkte Organe hinweisen:
1. Inkontinenz
Viele Frauen erleben nach der Geburt eine vorübergehende oder sogar dauerhafte Inkontinenz. Intensive sportliche Aktivitäten, insbesondere solche mit Sprüngen oder starkem Druck auf den Beckenboden, können dieses Problem verschärfen. Symptome hierfür sind Harnverlust beim Husten, niesen, pressen, springen und laufen.
2. Organsenkung
durch eine lang andauernde Geburt, einen bei der Geburt verletzten Beckenboden oder auch durch generell schwaches Bindegewebe kann es zu Organsenkungen kommen, bei denen von sportlichen Aktivitäten abzuraten ist, die viel Druck ins kleine Becken machen. Symptome einer Organsenkung können ein Fremdkörpergefühl in der Scheide, Druck nach unten, verstärkter Harndrang oder auch Restharngefühl sein. Ist der Darm von der Senkung betroffen stehen ebenfalls Fremdkörpergefühl, das Gefühl der unvollständigen Entleerung und häufige Entleerung als Symptome im Vordergrund.
3. Überlastung
Zu schnelles oder intensives Training kann den Beckenboden und das hormonell beeinflusste Bindegewebe überlasten. Es ist wichtig, die Rückbildung des Körpers zu berücksichtigen und sich nicht zu überfordern. Der Halteapparat der Organe im Becken besteht aus Bindegewebe. Dieses kann bis zu 10 Monate nach dem Abstillen weich bleiben.
4. Schmerzen
Nach der Geburt können Frauen unter Schmerzen im Beckenbereich leiden. Symphysenschmerzen aber auch Schmerzen in ISG Gelenken und unterem Rücken sind häufig. Sportliche Aktivitäten, die diese Schmerzen verstärken, sollten vermieden werden.
5. Rektusdiastase
Bei vielen Frauen kommt es nach der Geburt zu einer Trennung der Bauchmuskeln (Rektusdiastase). Um diese nicht zu verstärken sollte die Bauchwand Stufenweise trainiert werden. Vieles was dazu geschrieben wird bzw. auf Social Media kursiert ist leider nicht oder nur teilweise richtig. Viele Frauen kommen sehr verwirrt zu mir in die Praxis was das richtige Bauchwandtraining betrifft.
Eine groß Zahl der Frauen, die zu mir kommt haben den Ehrgeiz sehr schnell wieder so Sport zu betreiben, wie vor der Schwangerschaft. Als Vorbilder werden oft Beispiele aus Sozialen Medien genannt, wo Frauen nach 4 Wochen wieder Beach Volleyball spielen, oder nach wenigen Wochen bereits wieder mit starkem Krafttraining beginnen, oder nach kurzer Zeit schon wieder im Lauftraining sind. Bitte vergegenwärtigen Sie sich, dass nicht jeder Körper gleich ist! Zudem wissen Sie nicht, ob die jeweilige Person wirklich keine Beschwerden hat, oder diese in ihrem beruflichen Kontext einfach nicht anspricht. Bitte gehen Sie in jedem Fall von sich selbst und Ihren eigenen Symptomen, Limitationen und Bedürfnissen aus!
Individueller Einstieg in den Sport nach der Geburt!
Wie wirkt Sport auf den Beckenboden?
Wenn es um Sport nach der Geburt beziehungsweise generell um Beckenboden und Sport geht, gibt es zwei unterschiedliche Aussagen. Einerseits liest man immer wieder, dass Sport den Beckenboden kräftigt und deshalb erstrebenswert ist. Die zweite Aussage besagt, dass Sport Stress für den Beckenboden bedeutet und deshalb die Gefahr für Harninkontinenz und Senkungszustände der inneren Organe erhöht. Kurz gesagt geht es um die Frage, ob Sport ein Training für den Beckenboden ist oder ihn belastet und potentiell schädigt.
Dazu hat Kari Bo in ihrer Studie “Is Physical Activity Good or bad for the Pelvic Floor? A narrative Review” aus dem Jahre 2020 die Literatur zu diesen zwei Thesen befragt. In dem groß angelegten Review, für den sie 47 Studien ausgewertet hat, kommt sie zu dem Schluss, dass sich keine der beiden Thesen bestätigen lässt. Vielmehr kommt sie zu dem Ergebnis, dass es wahrscheinlich sehr individuell ist, welche Sportarten, in welcher Intensität und unter welchen körperlichen Voraussetzungen ausgeübt werden kann, um eine negative oder auch positive Wirkung auf den Beckenboden zu haben. Dieses Ergebnis ist zwar enttäuschend, weil es keine allgemein gültige Antwort gibt, bestätigt aber das, was ich in meiner täglichen Arbeit sehe: Es ist sehr individuell, was sportlich wann wieder möglich ist.
Bei welchen Sportarten kommen gehäuft Beckenbodenprobleme vor?
Aufschlußreicher ist die Studie “Sport and pelvic floor dysfunction in male and female athletes”. Darin wurde untersucht, welche Beckenbodenprobleme gehäuft bei welchen Sportarten vorkommen. Was Frauen betrifft wurden darin die Sportarten Crossfit, Geräteturnen, Power Lifting, Gewichtheben, Volleyball und Triathlon als jene identifiziert, bei denen es zu hohen Raten an Beckenbodendysfunktionen kommt.
Es scheint die Kombination aus hohem Impact (wie Sprünge) und hoher Dehnfähigkeit von Bein- und Hüftmuskulatur bzw. eine allgemein hohe Dehnfähigkeit zu sein, die ein höheres Risiko für Inkontinenz und generell Beckenbodendysfunktion geben. Beim Laufen scheint die Lauftechnik ebenfalls Einfluss auf das Entstehen von Problemen zu haben. Langer Bodenkontakt (Impact) und eine geringer Schrittfrequenz gehen laut Studie mit einer höheren Inkontinenzrate einher.
Haben Sportlerinnen den stärkeren Beckenboden?
In den letzten Jahren gibt es relativ viele Untersuchungen zu Leistungssport und Beckenbodendysfunktion; Kari Bö und eine isländische Forscherin haben gemessen, ob Athletinnen im Vergleich zu untrainierten Frauen eine signifikant höhere Beckenbodenkraft habe. In der Studie hat sich jedoch gezeigt, dass die Beckenbodenkraft unter den Athletinnen genau so verteilt ist, wie bei untrainierten Frauen. Sport alleine scheint den Beckenboden also nicht automatisch mit zu trainieren beziehungsweise nicht bei allen Frauen. Daraus lässt sich die Empfehlung ableiten nur jene Sportarten auszuführen, bei denen der Beckenboden willkürlich mit angespannt werden kann.
Anstieg des Intraabdominalen Druckes vermeiden
Wenn es um Sport nach der Geburt geht, dann kann man sich erst mal die Frage stellen, was eine Belastung für den Beckenboden ist. Das Becken ist nach unten hin offen. Der Beckenboden ist jene Schicht, die es nach unten hin abschließt. Der Beckenboden bildet gemeinsam mit der Bauchmuskulatur, den Rückenmuskeln und dem Zwerchfell die so genannte Rumpfkapsel. Ein Ansteigen des Druckes innerhalb dieser Kapsel wirkt sich als Druck auf den Beckenboden aus, da er die einzige Schicht ist, die Öffnungen beinhaltet und überdies durch seine Lage der Schwerkraft mehr ausgesetzt ist als etwa Bauch- oder Rückenmuskulatur. Studien zeigen, dass es Bewegungen gibt, die diesen Druck stark erhöhen. Beispielsweise die tiefe Kniebeuge, springen, das Heben schwerer Lasten usw. Jedoch zeigen Studien, dass der genaue Anstieg von Mensch zu Mensch variiert.
Empfohlene Sportarten nach der Geburt
Es ist wichtig, nach der Geburt mit Bedacht und Geduld an die Rückkehr zum Sport heranzugehen. Frauen sollten die körperliche Aktivität an den eigenen körperlichen Zustand anpassen. Dabei sollten Faktoren wie aktuelle Symptome und Verletzungen bei der Geburt eine Rolle spielen. Erst wenn sicher gestellt ist, dass die Kraft des Rumpfes und jene der Beckenbodenmuskulatur normalisiert ist, Organsenkung und Symphysenlockerungen ausgeschlossen sind, sollte mit dem Einstieg in den Sport nach Schwangerschaft begonnen werden. Zu bevorzugen sind dabei Sportarten, bei denen die Bodenreaktionskräfte und der Anstieg des Intraabdominalen Druckes gering ist. Pillates, Yoga, Schwimmen, Rad fahren wären hier zu nennen. Problematisch sind Sportarten, mit hohem Impact und sehr langer Belastungsdauer. Sportliche Betätigung ist nicht gleichbedeutend mit einem trainierten Beckenboden. Deshalb sollten sowohl Beckenboden als auch Rumpf zuvor gezielt trainiert werden ausgehend von Status Quo der jeweiligen Frau nach der Geburt bevor mit Sport wieder begonnen wird.
Wenn Sie nicht sicher sind, ob Ihre Rumpf- bzw. Beckenbodenmuskulatur wieder ausreichend gestärkt sind, Sie Geburtsverletzungen hatten, oder an einer Beckenbodendysfunktion wie Senkungsbeschwerden oder Inkontinenz haben, dann wenden Sie sich an eine spezialisierte Physiotherapeutin, bevor Sie mit dem Sport nach der Geburt wieder starten.
Eine Liste von Spezialisierten Beckenbodenphysiotherapeutinnen finden Sie auf der Seite der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreichs.