RH: Was muss bei einem Schmerz im Analbereich proktologisch untersucht werden und wie funktioniert das?
Prof. Wunderlich: Der erste Schritt ist die Erhebung der Anamnese (= Befragung der Patienten nach ihrer Krankengeschichte, also dem Beginn und dem Verlauf der Symptome), die zum Beispiel bei der Analfissur meistens feststellt, dass der Patient den ersten Schmerz nach einem sehr harten Stuhlgang verspürt hat– ein Schmerz, der sich in der Folge auf der Toilette stets wiederholt.
Der zweite Schritt der Diagnostik ist die sogenannte klinische Untersuchung in Links Seitenlage,beginnend mit der Inspektion, das heißt der Begutachtung der Region durch Hinsehen, gefolgt von der digitalen Palpation, das heißt dem Tasten, sofern dies nicht zu schmerzhaft ist, wie zum Beispiel bei Vorliegen einer Analfissur. Wenn das Austasten des Analkanals wegen Schmerzen dem Patienten nicht zumutbar ist, verordnet man besser zunächst die Zäpfchen-Salben-Therapie, verzichtet auf weitere Manipulationen, wie etwa die Endoskopie und wiederholt die Untersuchung in frühestens 4 Wochen. Dann sind Palpation und Rektoskopie (Spiegelung des Mastdarms mit einem starren Rohr) häufig ohne Schmerzen möglich.
RH: Und dann würde man noch eine Endoskopie machen, um eine schwerwiegende Erkrankung auszuschließen? Würde denn der Schmerz von einem Karzinom auch besser werden durch die Salbe?
Prof. Wunderlich: Ja, denn ein Analkarzinom, das schmerzt, wird durch die Salbe schon kurzfristig besser.
RH: Also auf jeden Fall noch eine Endoskopie?
Prof. Wunderlich: Ja, unbedingt! Also Rektoskopie und Proktoskopie (Spiegelung des Analkanals mit einem sehr kurzen starren Rohr) gehören im Interesse eines vollständigen Befundes gemacht.
RH: Kann man den Schmerz auch einfach „wegoperieren“?
Prof. Wunderlich: Ja, aber nur, wenn man ein Substrat hat, wie bei Fissur, Abszess und Hämorrhoidalthrombose.
RH: Wenn jetzt nichts gefunden wird bei einer solchen Untersuchung, heißt das dann, dass man nichts hat und sich alles nur einbildet?
Prof. Wunderlich: Nein, keinesfalls! Dann kann es zum Beispiel ein idiopathischer Schmerz sein, dessen Ursache man nicht kennt. Dieser treibt die Patienten zur Verzweiflung und muss unbedingt ernst genommen werden – nicht, weil er gefährlich ist, aber weil gerade diese Patientinnen und Patienten mehr als andere der ganzen Empathie des Proktologen bedürfen.
RH: Und wohin soll oder kann man sich dann noch wenden?
Prof. Wunderlich: Gelingt es dem Proktologen mit seiner ganzen Kunst nicht, den Schmerz zu beherrschen, dann sollte er nicht zögern, mit Schmerztherapeuten zusammen zu arbeiten. Diese sind in der Regel spezialisierte Fachärzte für Anästhesie, die Analgetika in verschiedensten, sehr wirksamen Kombinationen anwenden.
Es scheint ein interessantes Phänomen zu sein, dass Chirurgen sich ein wenig genieren,„nur“ eine Salbezu verschreiben, anstatt zu „Schneiden“, was man ja landläufig mit ihnen assoziiert. Bei vielen meiner Patientinnen und Patienten mit Analfissuren, und anderen analen Schmerzen stelle ich fest, dass diese einfach zu erklärenden Schmerzen mit Zäpfchen-Salbentherapie zu heilen oder deutlich zu lindern sind.
RH: Haben Sie persönlich Erfahrungen damit, dass man diese Patientinnen und Patienten dann mit Osteopathie oder Physiotherapie behandelt, also den Beckenboden entspannt?
Prof. Wunderlich: Nein, damit habe ich kaum Erfahrung, aber es erscheint mir als ein äußerst probater therapeutischer Ansatz.
RH: Danke für das Gespräch!
Prof. Max Wunderlich begann seine medizinische Laufbahn mit einer mehrjährigen Ausbildung im Geburtshilfe und Frauenheilkunde, bevor er sich für das Fach Allgemeinchirurgie entschied. Einer der wesentlichen Schwerpunkte seiner Arbeit an der Ersten Chirurgischen Universitätsklinik in Wien war die Chirurgie des Dickdarms. Besonders vertraut wurde er mit dem Kontinenzorgan Anorektum und der Funktion der Schließmuskulatur während eines einjährigenForschungsaufenthalts am diesbezüglich weltweit führenden St. Mark’s Hospital in London. Die Verbindung der Kenntnisse aus der Frauenheilkunde und der Spezialisierung auf den Beckenboden aus chirurgischer Sicht ermöglichte ihm eine bis heute anhaltende Tätigkeit in der Diagnostik und Behandlung der Erkrankungen des Enddarms, vor allem der Inkontinenz. Im Laufe von mehr als 20 Jahren hat Prof. Wunderlich in den von ihm geleiteten Abteilungen den Schwerpunkt der Proktologie und Enddarmchirurgie etabliert. Als einer der zuständigen Ärzte für Funktionsstörungen des Beckenbodens im Vorstand der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) arbeitet er eng zusammen mit den analog spezialisierten Vertreterinnen und Vertretern der Physiotherapie und des Pflegedienstes.